Galicistik
Galicistik
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Galicistik beinhaltet die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sprache und Kultur Galiciens. Das in Spanien gesprochene Galicisch und das Portugiesische sind eng miteinander verwandt. Seit dem Ende des Mittelalters haben sich beide Varietäten jedoch parallel und relativ unabhängig voneinander entwickelt. Unterschiede bestehen vor allem in Aussprache und Wortschatz. Betrachtet man abstrakt die Morphosyntax beider Sprachen, so gibt es durchaus Gründe, sie als Varietäten ein und desselben Sprachsystems zu klassifizieren, weswegen allgemein die Galicistik oft noch als Untergebiet der Lusitanistik, die sich mit der portugiesischen Sprache und Kultur befaßt, aufgefaßt wird. Aus der Perspektive der Sprecherinnen und Sprecher wird allerdings gefordert, das Galicische als eigene romanische Standardsprache anzuerkennen. In Galicien wird es von vier Fünfteln der Bevölkerung gesprochen. Es ist abzusehen, daß die Galicistik sich eines Tages als gleichberechtigte iberoromanische Disziplin neben der Hispanistik und Lusitanistik etablieren wird.

Der Heidelberger Sprachwissenschaftler Jens Lüdtke ist die Problematik mit folgenden Fragen angegangen:

«1. Ist das Galicische eine Sprache oder ein Dialekt? Wenn es ein Dialekt oder ein Bündel von Dialekten ist, wäre nachzufragen, ob es ein Dialekt des Portugiesischen oder des Spanischen ist.

2. Ist das Galicische eine eigene historische Sprache oder gehört es zum Portugiesischen als historische Sprache?

3. Welches Galicisch soll der Normierung und Kodifizierung zugrunde liegen? Diese Frage ist zu stellen, wenn das Galicische als eigene historische Sprache gilt.» (1)

Er gibt folgende Antworten:

ad 1: «Damit soll als aus der Sprecherperspektive vorläufig etabliert gelten (genauere Untersuchungen stehen noch aus), daß die galicischen Dialekte heute eine von den spanischen und den portugiesischen Dialekten getrennte Dialektgruppe sind nach dem Kriterium, daß sie von den Sprechern weder dem Spanischen noch dem Portugiesischen zugeordnet werden. Diese Aussage kann aber nur vorläufig gelten. Sie ist zu revidieren, wenn dieses Problem durch eine repräsentative Umfrage geklärt worden ist.» (2)

ad 2: «Die These von einer einzigen historischen Sprache stößt nicht nur auf das Problem, daß das Portugiesische nicht die Leitvarietät der Galicier war, wenn man von einigen Intellektuellen absieht, denn es wurde und wird nicht als Kultursprache der Galicier in den Schulen gelehrt. Diese Funktion übernahm in der galicischen Gesellschaft vielmehr das Spanische. […] Auch sprachgeschichtlich wäre über das Portugiesische die Entwicklungslinie von der galicischen Gemein- und Schriftsprache des Mittelalters zur heutigen Sprachsituation nicht in einer Weise zu ziehen, daß die heutigen sprachlichen Verhältnisse angemessen begründet würden, denn es müßte die Sprachgeschichte als Geschichte einer auseinanderstrebenden Entwicklung begriffen werden, die zum Untergang der galicischen Schriftsprache und des Galicischen als Leitvarietät und zu seiner Ersetzung durch das Spanische geführt hätte. […] 'Galicisch-Portugiesisch' ist somit auf jeden Fall ein untauglicher Sprachenname für die Gegenwart. Aber auch für das Mittelalter ist er nur dann brauchbar, wenn sich nachweisen läßt, daß die Sprecher das Bewußtsein von einer in Galicien und in Portugal gemeinsam gesprochenen Sprache hatten.» (3)

ad 3: «Die Anerkennung des Galicischen und des Portugiesischen als zweier historischer Sprachen und das Stellen der Probleme des Galicischen als Standardsprache im spanischen Kontext hat zur Folge, daß die Auseinanderentwicklung des Galicischen und des Portugiesischen darzustellen ist. […] Das Spanische ist bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, von Ausnahmen abgesehen, die einzige geschriebene Sprache in Galicien. Die heutige galicische Standardsprache entwickelte sich folglich aus einer entweder stärker dialektal oder stärker hispanisiert gesprochenen Sprache, der ein überregionales Zentrum fehlte. Für eine Geschichte der galicischen Standardsprache ergibt sich damit als Aufgabe, diesen Prozeß der Hispanisierung zu untersuchen. […] Wenn die galicischen Schriftsteller ihre literarischen Ausdrucksmöglichkeiten erweitern wollten, so war es […] naheliegend, daß sie umso mehr an das Portugiesische anknüpften, je mehr literarische Funktionen sie, von der Lyrik zur literarischen und essayistischen sowie wissenschaftlichen Prosa übergehend, neu gewannen. Sie mußten dies umso mehr tun, als die literarischen Texte des Mittelalters noch nicht veröffentlicht waren. Gleichzeitig entsteht aber auch das Spannungsverhältnis zwischen einer Orientierung der galicischen Literatur- und Standardsprache am gesprochenen Galicisch, am Spanischen und am Portugiesischen, das ebenfalls geschichtlich geklärt werden muß. Die Normierung des Galicischen schließt an diese komplexen literarischen Traditionen an.» (4)

Sowohl die Deutsch-Galicische Gesellschaft und das Galicien-Zentrum der Universität Trier (D-54286 Trier) als auch der Deutsche Lusitanistenverband e. V. betreiben und fördern im deutschen Sprachraum den Ausbau der wissenschaftlichen Galicistik. Veröffentlichungen in galicischer oder deutscher Sprache können im Galicien Magazin (galicia@uni-trier.de) oder in der Zeitschrift Lusorama (http://www.lusorama.de) erfolgen. Deutschsprachige Universitäten haben gerade erst begonnen, die Galicistik als eigenständige Disziplin wahrzunehmen und zu betreiben. Den Universitäten Trier (Prof. Dr. Dieter Kremer) und Heidelberg (Prof. Dr. Jens Lüdtke) kommt dabei eine unbestreitbare Vorreiterrolle zu.

Weitere Internet-Seiten:

http://www.lusitanistik.de/

http://www.romanistik.com/

Mit Lusorama - Zeitschrift für Lusitanistik steht der Galicistik und Lusitanistik im deutschsprachigen Raum auch eine eigene Fachzeitschrift zur Verfügung: http://www.lusorama.de/

Eine sehr nützliche Liste hat Dr. Wolf Lustig (Universität Mainz) zusammengestellt: http://www.romanistik.uni-mainz.de/ifr/Minores_ifr.htm

 

Anmerkungen:

 

1. Jens Lüdtke: «Galicisch als Standardsprache», in: Galicien Magazin 6 (Dezember 1998), S. 7-10.

2. A. a. O., S. 8.

3. Ebenda.

4. A. a. O., S. 9.

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